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Mailied

Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus

Da bleibe wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus;

Wie die Wolken dort wandern am himmlischen Zelt

So steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt.


Herr Vater, Frau Mutter, daß Gott euch bemüht!

Wer weiß, wo in der Ferne mein Glück mir noch blüht!

Es gibt so manche Straße, da nimmer ich maschiert,

Es gibt so manchen Wein, den nimmer ich probiert.


Frischauf drum, frischauf im hellen Sonnenstrahl

Wohl über die Berge, wohl durch das tiefe Tal!

Die Quellen erklingen, die Bäume rauschen all,

Mein Herz ist wie ne Lerche und stimmt ein mit Schall.


Und abends im Städtlein, da kehr ich durstig ein;

“Herr Wirt und Frau Wirtin, eine Kanne blanken Wein!

Ergreife die Fidel, du lustiger Spielmann du,

Von meinem Schatz das Liedel das singe ich dazu.”


Und find ich keine Herberg, so liege ich zur Nacht

Wohl unter blaumen Himmel, die Sterne halten wacht;

lm Winde die Linde, die rauscht mich ein gemach,

Es küsset in der Früh das Morgenrot mich wach.


0 Wandern, o Wandern, du freie Burschenlust!

Da wehet Gottes Odem so frisch in die Brust,

Da singet und jauchzet das Herz zum Himmelszelt

Wie bist du doch so schön, du weite, weite Welt.


Emanuel Geibel

Stand: 06.03.2024
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